Seit April 2015 ist Annett Noack Integrations- und Behindertenbeauftragte des Landkreises Spree-Neiße. Und da uns und unserer AG „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ am Friedrich-Ludwig-Jahn-Gymnasium Forst das Thema „Inklusion an Schulen” (insbes. im Landkreis Spree-Neiße) auch am Herzen liegt, haben wir sie dazu befragt. Ihre Antworten sind etwas ausführlicher geworden, da sie es als wichtig erachtet, das Thema im Zusammenhang mit den zuständigen Akteuren (Land, Landkreis, Stadt) zu betrachten. Hier nun ihre Antworten auf unsere 3 Fragen.
1) Wie viele Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen gibt es im Landkreis Spree-Neiße?
Das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg hat für den Jahrgang 2016/2017 562 Schülerinnen und Schüler im Landkreis Spree-Neiße mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf erfasst. Davon wurden 207 Kinder an Förderschulen und 355 Kinder im gemeinsamen Unterricht beschult.
2) Welche Anforderungen muss eine Schule im Landkreis erfüllen, um den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen gerecht zu werden?
Der gemeinsame Unterricht von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Beeinträchtigung wird im Land Brandenburg seit 25 Jahren praktiziert. Der Besuch des gemeinsamen Unterrichts ist möglich, wenn die personellen, räumlichen und sächlichen Voraussetzungen an der jeweiligen Schule vorhanden sind oder geschaffen werden.
Bildung ist in Deutschland Sache der Bundesländer. Das zuständige Ministerium für Bildung, Jugend und Sport in Brandenburg (Ministerin Frau Britta Ernst) ist für das Thema „Bildung/Schule“ in unserem Bundesland zuständig. Bei der Umsetzung vor Ort wird das Land in zuständige staatliche Schulämter aufgeteilt. Für den Landkreis Spree-Neiße ist das Staatliche Schulamt in Cottbus zuständig.
Der gemeinsame Unterricht von Schülerinnen oder Schülern mit und ohne sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf in den allgemeinen Schulen des Landes Brandenburg wurde bereits 1991 festgeschrieben und im Brandenburgischen Schulgesetz bestätigt. Auch das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das von Deutschland 2009 ratifiziert wurde, sieht in Artikel 24 das gemeinsame Lernen als Regelfall vor. Um dieses Vorhaben zu unterstützen wurden in Brandenburg auch Projekte installiert.
Im Schuljahr 2012/2013 sind 84 brandenburgische Grundschulen mit dem Pilotprojekt „Inklusive Grundschule“ gestartet. Die Idee dahinter war: Von ihren Erfahrungen auf dem Weg zu einer „Schule für alle“ sollen andere Schulen profitieren.
Seit dem Schuljahr 2018/19 gibt es im Land Brandenburg 188 „Schulen für gemeinsames Lernen“, darunter sind 138 Grund-, 36 Oberschulen, 5 Gesamtschulen, 5 Schulzentren und 4 berufliche Schulen (OSZ). Für den gemeinsamen Unterricht stehen in den Schuljahren 2017/18 und 2018/19 zusätzlich bis zu 432 Stellen für Lehrkräfte und sonstiges pädagogisches Personal zur Verfügung, die Kosten dafür betragen rund 25 Millionen Euro. Das Konzept „Gemeinsames Lernen in der Schule“ sieht vor, dass Schülerinnen und Schüler mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf, insbesondere in den Förderschwerpunkten „Lernen“, „emotionale und soziale Entwicklung“ und „Sprache“ (LES), gemeinsam in einer Klasse lernen.
Im Landkreis Spree-Neiße sind folgende Schulen beteiligt: Grundschule Forst (Lausitz) Keune, Gutenberg Oberschule Forst (Lausitz), Corona-Schröter Grundschule Guben, Europaschule Marie & Pierre Curie Guben, Mosaikgrundschule Peitz, Grund- und Oberschule Mina-Witkojc Burg (Spreewald), Grundschule Mato Kosyk Briesen, Grundschule Welzow „Johann Wolfgang von Goethe“, Grund- und Oberschule Döbern, Grundschule Kollerberg Spremberg, Astrid Lindgren Grundschule Spremberg, Berufsorientierte Oberschule Spremberg, Oberstufenzentrum II des Landkreises Spree-Neiße in Cottbus.
Das inklusive Lernen an Schulen im Landkreis benötigt viele Akteure. Neben den Lehrerinnen und Lehrern (zuständig ist das Land Brandenburg) sind auch für eine inklusive Beschulung die notwendigen Voraussetzungen (Räumlichkeiten und Ausstattung) zu schaffen. Dafür ist der jeweilige Schulträger einer Schule zuständig. Dies können die Städte, Gemeinden und auch der Landkreis sein. Bei Schulen in freier Trägerschaft ist es Aufgabe des jeweiligen freien Trägers.
3) Wie bewerten Sie den Erfolg der Inklusion an Schulen im Landkreis?
In meiner Tätigkeit als Behindertenbeauftragte des Landkreises Spree-Neiße habe ich sehr unterschiedliche Schulen mit gelebter Inklusion kennengelernt. Es gibt viele positive Entwicklungen, interessante Konzepte, Umsetzungen, Schulprogramme und Leitbilder. Inklusion ist jedoch ein gesamtgesellschaftlicher und partizipativer Prozess, der durch „Mitmachen, Mitreden und Mitarbeiten“ – gestaltet werden muss. In den letzten Jahren ist dort viel Bewegung hineingekommen. Auch bauliche Veränderungen zur Verbesserung der Barrierefreiheit wurden an vielen Schulen geplant und umgesetzt. Dennoch gibt es weiterhin viele Aufgaben, die noch angegangen werden müssen. So kann die Zusammenarbeit auf der regionalen Ebene in Bezug auf eine regional inklusive Bildungsstruktur zwischen dem Schulamt, den Schulverwaltungen, den Vertretern aus der Politik, dem Jugendamt, Sozialamt und den Eltern- und Behindertenvertretungen ausgebaut und verstärkt werden. Zusätzliche finanzielle Mittel werden weiterhin benötigt, um die bauliche Barrierefreiheit nach den Vorgaben der Brandenburgischen Bauordnung an allen Schulen zu schaffen. Des Weiteren sollten zusätzliche Räume für die Körperpflege, Ruheräume, einen Rollstuhlabstellraum und einen Raum für außerschulische Therapie geschaffen werden. Auch die Fachkräfte (Lehrkräfte, Sonderpädagogen, Sozialarbeiter, Einzelfallhelfer) an den Schulen benötigen für einen gelingenden guten inklusiven Unterricht entsprechende Bedingungen (Qualifizierung, Vernetzung, Fortbildung, Reflektion, ausreichend Personal).
Aus meiner Sicht, kann ich feststellen, dass viele Schulen im Landkreis Spree-Neiße auf einem guten Weg sind und versuchen mit den bestehenden Bedingungen inklusives Lernen zu ermöglichen. Es gibt ausgewählte Projektschulen, die in den letzten Jahren gute Inklusionsschulen geworden sind. Jedoch ist die schulische Inklusion noch nicht in die gesellschaftlichen Prozesse eingebunden und kann somit nicht im vollen Umfang aktiv werden und wirken. Inklusion ist eine Chance und Aufgabe für ALLE – es gilt die Prozesse weiterhin gemeinsam zu gestalten.
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